Stellungnahme zur Machbarkeitsstudie zum EXOPET-Projekt

Dr. Christoph Hinkelmann

Vorbemerkung

Ergebnisse aus der noch vor der CoViD-19-Pandemie durchgeführten EXOPET-Studie sollten zur Vorbereitung einer generellen Handlungsanweisung für Halter und Züchter (besser: Vermehrer) von Vögeln zusammengefasst werden, die als „Wildvögel“ oder „Exoten“, also weitgehend unverändert durch Mutationen des Phänotyps, in menschlicher Obhut existieren. Leider war der Rücklauf der von den Initiatoren der Studie vorbereiteten Fragebögen durch die Vogelhalter so gering, dass nur für sehr wenige Vogelarten überhaupt eine Datenmenge zur Verfügung stand, die eine statistisch abgesicherte Aussage ermöglichte. So standen den Initiatoren der EXOPET-Studie vor allem die aus veterinärmedizinischen Praxen gewonnenen Daten von „Patienten“, die den Tierärzten mit deutlichen Krankheitssymptomen vorgestellt wurden, zur Verfügung. Dieser Anteil konnte nicht ohne Einfluss auf das Ergebnis bleiben.

Um dennoch eine Handlungsanweisung für Vogelhalter präsentieren zu können, wurde der (domestizierte) Kanarienvogel ausgewählt. Die für diese weder Wild- noch exotische Vogelart vorliegenden Ergebnisse flossen in eine Machbarkeitsstudie ein. Das 63 Seiten umfassende Papier kann im Internet unter „Machbarkeit_Kanarienvogel.pdf (uni-leipzig.de)“ eingesehen werden.

Winfried Schidelko

Stellungnahme zur Machbarkeitsstudie zum EXOPET-Projekt exemplarisch für die Spezies Serinus canaria f. domestica, den Kanarienvogel, erstellt im Auftrag des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch die Tierschutzbeauftragte Frau Dr. Stubenbord, angefertigt von Frau Prof. Dr. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns von der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig.

Die Studie sollte zum Projekt „Haltung exotischer Tiere und Wildtiere in Privathand: Situationsanalyse, Bewertung und Handlungsbedarf insbesondere unter Tierschutzaspekten“ (siehe o.a. Studie, S. 3) konkrete Daten liefern. Mit diesem Projekt soll dann eine Basis geschaffen werden, um „eine Weiterentwicklung auf dem Gebiet des Handels/der Haltung von Wildtieren“ (siehe o.a. Studie, S. 3) zu initiieren.

Hierbei geht es also darum, Auflagen für die Tierhalter in den Bereichen Handel und Haltung von Wildtieren zu verschärfen, um den Tierschutz zu verbessern. Dieses Anliegen ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn die allgemeine Lage bei der Haltung und im Handel von Wildtieren den zeitgemäßen Anforderungen nicht (mehr) entspricht und durch neue, für Tierhalter zumutbare Gesetzesvorschriften Verbesserungen entstehen, die nachweisbar den Tieren, um die es ja geht, helfen, ohne unverhältnismäßig in die private Lebensführung von Menschen einzugreifen.

Ein Verbot der Haltung von Kühen, Schweinen, Pferden, Hunden und Katzen würde den Wünschen vieler moderner Tierschützer zwar entgegenkommen, wird aber von der großen Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland als unverhältnismäßige Zwangsmaßnahme abgelehnt.

Auch würden pauschale Regelungen für alle genannten Tiergruppen gleichermaßen als unangemessen abgelehnt. Ein Fluchttier wie das Pferd hat völlig andere Bedürfnisse als die Hauskatze oder der Hund und auch bei einzelnen Tierarten sind die Unterschiede bei den Bedürfnissen für eine angemessene Haltung innerhalb ihrer Rassen (z.B. Schäferhund, Dackel, Husky, Chihuahua) so groß, dass Gesetzesvorschriften nicht für alle Hunderassen gleichermaßen gelten dürften. 

Ich werde begründen, warum diese Studie über den Kanarienvogel wenig bis gar nicht aussagekräftig ist, wenn es um die die Haltung von Wildvögeln, z.B. von Schwalben, Seeadlern, Zaunkönigen, Nachtigallen oder Krickenten, geht (alles exotische Tiere oder Wildtiere)

  1. Der Kanarienvogel ist viel länger und stärker durch jahrhundertelange Domestikation und gezielte Zucht verändert worden als die meisten anderen in Menschenobhut gehaltenen Vogelarten.
  2. Die in Deutschland gehaltenen Kanarienvögel gehören im biologischen bzw. genetischen Sinne nicht zur Wildvogelart Kanarengirlitz (Serinus canaria), da
    - eine Vogelart, die nicht einmal derselben Gattung angehört, (der Kapuzenzeisig Spinus cucullatus) eingekreuzt wurde.<
    - auch die eingekreuzten Kapuzenzeisige nicht artenrein sind oder waren, weil in den Kapuzenzeisig andere Zeisigarten (insbesondere Magellanzeisige Spinus magellanicus) eingekreuzt wurden.
    - die Größenunterschiede und andere äußerliche Differenzierungen innerhalb der Kanarienvögel darauf hinweisen, dass von den hunderten oder sogar tausenden von Kanarienmischlingen, die jährlich in Deutschland gezüchtet werden, wiederholt Rückkreuzungen mit verwandten Arten wie dem Girlitz (Serinus serinus) gelungen sind.

Also handelt es sich beim Kanarienvogel um einen gezüchteten Vogel ohne Bezug zu einer einzelnen Wildvogelart. Dabei hat die Studie es versäumt, durch genetische Untersuchungen die wissenschaftliche Zuordnung zu einer Vogelart nachzuweisen bzw. generell Klarheit zu schaffen.

Die Studie behauptet, „Das Sozialverhalten des Kanarienvogels entspricht dem seiner Wildform“ (S. 4) und folgert einen „hohen Bewegungsbedarf“ und „täglicher mehrstündiger Freiflug“ (sieh ebd.).

Belegt werden diese Haltungsanforderungen mit einer Arbeit von Herre und Röhrs über Domestikationserscheinungen von Haustieren aus dem Jahr 1990, in der die Autoren dem Kanarienvogel ganze 3 Seiten widmen.

Spezialabhandlungen über die Biologie von Serinus canaria und über den Kanarienvogel, darunter auch fundierte und wissenschaftliche Texte gäbe es hinreichend, um die tatsächlichen Bedürfnisse des Kanarienvogels und des Serinus canaria zu erkunden. Dies erfolgte offensichtlich an dieser Stelle nicht.

Persönlich habe ich in der Vergangenheit sowohl Kanarienvögel als auch Serinus canaria in Menschenobhut gehalten und vermehrt. Was die Bedürfnisse eines Vogels wirklich sind, kann er uns verbal nicht vermitteln. Aber es war leicht zu erkennen, dass der Bewegungsablauf und vor allem der Umfang und die Länge, Geschicklichkeit und Geschwindigkeit der Flüge in einer Voliere bei Serinus canaria völlig anders ausfielen als beim Kanarienvogel. Die Tatsache, dass Serinus canaria in der Natur größere Flüge (innerhalb einer Insel) unternimmt, entspringt aber keinem Bewegungsbedürfnis, sondern meistens dem Nahrungserwerb. Selbst die seltenen Singflüge im Zusammenhang mit der Balz, die auf ein höheres temporäres Bewegungsbedürfnis hinweisen könnten, und die ich vom Girlitz (Serinus serinus) aus Volierenbeobachtungen kenne, konnte ich bei gehaltenen Exemplaren von Serinus canaria ebenso wenig beobachten wie bei Kanarienvögeln.

Auch in kleineren Behältnissen können die Kanarienmännchen ihre Weibchen vor der Begattung treiben und so temporär den Bewegungsumfang steigern, was zur Balz wohl dazugehört. Ansonsten sitzen Kanarien meist und ruhen, singen oder knabbern an Nahrungsmitteln. Wenn sie sich hüpfend oder fliegend bewegen, dient dies meist dem Aufsuchen von Nahrungsplätzen, Wasserstellen oder Ruheplätzen, der Flucht vor Artgenossen oder anderen Bedrohungen.  In der Brutzeit kommen dann Interaktionen mit dem Partner und die Versorgung der Nachkommen dazu. Flüge aus Bewegungsbedürfnis konnte ich keine erkennen. Für die genannten tatsächlichen Gründe für Bewegung aber brauchen Kanarienvögel, (etwas anders als Serinus canaria nur wenig Platz, da ihr Flugvermögen ihnen nicht mehr in dem Umfang (Geschwindigkeit, Ausdauer) zur Verfügung steht wie der Wildvogelart Serinus canaria.

Die Feststellung, dass „Farb- und Gestaltskanarien …  weitgehend die Gesangscharakteristiken der Wildform beibehalten haben“ (vgl. S. 6) ist eine pauschalisierende und völlig der Realität widersprechende Erkenntnis.

Wiederholt mangelt es der Studie an Aussagekraft wegen ihrer zu geringen Datenbasis. Für den Import von Kanarienvögeln nach Deutschland gesteht die Autorin dies auch ein.

Für den Handel mit Kanarien innerhalb Deutschlands konnte lediglich auf die erfolgreiche Befragung von 13 Händlern verwiesen werden, deren Verkaufszahlen wohl so gering waren, dass sie nicht aufgelistet wurden, sondern nur als „insgesamt rückläufig“ (Siehe S. 19) angegeben wurden.

Nachdem man beim Besuch von 66 Zoofachhandlungen oder vergleichbaren Einrichtungen in 58 Einrichtungen Kanarienvogelverkauf festgestellt hatte, folgerte die Autorin der Studie, dass  „Niedergelassene Händler:innen mit Lebendtierverkauf ….. als Erwerbsquelle für Kanarienvögel eine wichtige Rolle“ spielen. Angesichts der jährlichen Nachzuchtmeldungen für Kanarien bei DKB und AZ allein wird deutlich, dass der wesentliche Teil der Weitergabe von Kanariennachzuchten hier in der Studie nicht erfasst wurde.

Anschließend beklagt die Autorin die mangelnde Verfügbarkeit von artgemäßen Käfigen und Leuchten in diesen Einrichtungen und die mangelnde Vermittlung von Sachkenntnis (siehe S. 20). Beides suchen sich die Vogelhalter aber eben kaum in diesen Einrichtungen, sondern im spezialisierten Internethandel bzw. in Vogelvereinen.

Bei den Aussagen zu Züchter:innen erreichte die EXOPET-Studie für Kanarienvögel lediglich 58 Personen (vgl. S. 21), ohne dass diese einen repräsentativen Ausschnitt darstellten. Da diese Zahl viel zu niedrig ist, können auch die daraus erhobenen Ergebnisse keine Aussagekraft haben.

Die Feststellung, dass außer der AZ „Andere Verbände …. keine vergleichbaren Nachzuchtstatistiken“ führen, ist wohl auf unzureichende Recherche zurückzuführen (siehe jährliche Nachzuchtstatistik des VDW in seiner Europäischen Vogelwelt, in der regelmäßig auch Kanarienvögel aufgeführt werden).

Bei der Auswertung von Fragen zur Haltung und Herkunft ihrer Kanarienvögel erreichte die EXOPET-Studie gerade mal 42 aussagebereite Kanarienhalter. Daraus wird dann eine Statistik entworfen und in bunten Diagrammen eindrucksvoll dargestellt.

Angaben zu Kanarienvögeln in Auffangstationen ergaben im Untersuchungszeitraum von 2009 bis 2015 völlig bedeutungslose, meist einstellige Individuenzahlen für ganz Deutschland.

Im Untersuchungszeitraum von 6 Jahren tauchten in den mit Hunden und Katzen meist überfüllten deutschen Tierheimen gerade einmal 512 Kanarienvögel in der Statistik auf (siehe S. 24).

Haltungsanforderungen:

Allgemeine Vorbemerkung:

Kanarienvögel wurden in den vergangenen Jahrhunderten meist als Hausmitbewohner in Käfigen gehalten und in oft nur kleineren Volieren, viel öfter aber in Zuchtboxen mit den Maßen 60-80 x 40 x 40-50 (L x B x H) gezüchtet. Die Nachfahren dieser Züchtungen erfreuen sich auch nach hunderten von Generationen guter Gesundheit und Fruchtbarkeit. Also können diese Haltungsformen, auch wenn sie heutigen Einschätzungen von Tierschützern nicht entsprechen, nicht als gesundheitsschädlich eingestuft werden. Natürlich sollte jeder Vogelhalter, der seinen Vögeln mehr Platz bieten kann, dies auch berücksichtigen. Aber ein Haltungsverbot auszusprechen für Tierhalter, die ihren Vögeln den in den Haltungsempfehlungen gegebenen Platz nicht bieten können, ist unverhältnismäßig. Wer fordert ernsthaft von Hundehaltern, ihre Tiere täglich viele Kilometer frei durch die Natur laufen zu lassen, wie es deren Vorfahren, die Wölfe, tun.

Forderungen nach täglichem Freiflug von Kanarienvögeln (vgl. S. 31/33) in Räumen mit mindestens 20m2  Größe kommen einem Haltungsverbot sehr nahe. Viele Wohn- oder Kinderzimmer haben für Mensch, Hund oder Katze nicht diese Maße. Außerdem vermindern diese Freiflugforderungen die durchschnittliche Lebenserwartung von Heimvögeln ganz massiv. Kein Mensch ist perfekt; insbesondere Kinder, Senioren mit geistigen Beeinträchtigungen und Haustiere stellen ständige Bedrohungen dar. Es reichen ein offenes Fenster, eine Glasscheibe, eine eindringende Katze, ein gefülltes Wassergefäß, giftige Flüssigkeiten, giftige Pflanzen oder andere feste Substanzen, um das Leben eines Kanarienvogels schnell zu beenden. Wer seinem Heimvogel ein langes Leben ermöglichen will, sollte regelmäßigen Freiflug außerhalb von Volieren vermeiden. Volierenhaltung ist sicherlich für Mensch und Tier erfreulicher, aber kein zwingendes Erfordernis, um Kanarien gesund und vital zu erhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist für Kanarienvögel in Gemeinschaftsvolieren sicherlich niedriger als bei paarweiser Unterbringung in Flugkäfigen.

Haltungsbedingungen:

Da die meisten Menschen – auch wenn sie ein Haustier kaufen – Vorschriften in Büchern mit sehr differenzierten Maßangaben kaum lesen und beachten, sollten viele Angaben zunächst einmal kurz und einfach gehalten werden. Beispiel: Sitzstangen sollten sauber und abwechslungsreich sein und nicht über Futter- und Wasserstellen angebracht werden. Sonnenplätze sind ebenso anzubieten wie Sitzplätze mit Schutz vor Sonne, Wind und Regen. Das Vogelheim sollte abwechslungsreich, aber ohne sichtbare Gefahrenstellen gestaltet sein.

Differenzierte Maße je Vogel sind problematisch, weil die Umstände im Detail – und nicht reine Längen- oder Raummaße – ausschlaggebend sind. (vgl. dagegen Studie, S. 31) Beispiel: Zwei Paare Kanarien in der Brutzeit in einer 4 m langen Voliere können – wenn Einzeltiere (insbesondere die Männchen) sich sehr territorial verhalten, den Tod von Mitinsassen verursachen (Verletzungen oder Vertreiben vom Futter). Mehr Schutz bietet eine paarweise Haltung. Noch sicherer ist eine Flugbox mit Trennschieber, wo ein zu aggressives Männchen schnell vom Weibchen getrennt werden kann.

Die Unterbringung in ausschließlich frostfreien Räumen (im Winter) ist sicherer, da man bei Volieren mit Außenanlagen und Schutzraum nicht garantieren kann, dass die Vögel vor Nächten mit starkem Frost vor Einbruch der Dunkelheit immer den Schutzraum aufsuchen. Gerade bei Gruppenhaltung können schwächere Tiere aus dem Schutzraum vertrieben werden, zumal dort meistens auch die Futterplätze stehen.

Der Bodenbelag/die Einstreu sollte sauber gehalten werden und insbesondere an Standorten, wo Feuchtigkeit auftritt, muss Schimmelbildung vermieden werden. Dies können auch überdachte Stellen sein, wo eine Badeschüssel steht, oder Stellen, wo Wasser kondensiert.

Beleuchtung: In welchem Kinderzimmer oder Pflegeheim gibt es die Ausstattung mit speziellem UV-Licht, wie es für Kanarienvögel gefordert wird?

Selbst wenn man die (auf S. 32 des Gutachtens) genannten Vorgaben erfüllen würde, steckt die Sinnhaftigkeit wieder im Detail: Ist der Abstand der Vögel zur Sitzstange zu groß (1 m), bewirken die Lampen kaum etwas. Außerdem verlieren diese Lampen mit zunehmendem Gebrauch ihre UV-Anteile und müssten mindestens alle 9 bis 12 Monate ausgetauscht werden. Die erheblichen Kosten und die Umweltbelastung der alten Röhren sind hier offensichtlich auch nicht mitberücksichtigt.

Die Angaben zur Beleuchtungsdauer (siehe S. 32) sind wenig hilfreich, da zumindest für Halter, die den Vögeln eine Möglichkeit zur Brut bieten wollen, ein Jahresrhythmus eingeplant werden sollte.Körnerfuttermischungen: Futtermittelversandhändler wie die Firmen Blattner oder Hungenberg bieten erheblich differenziertere Angebote an geeignetem Kanarienfutter als die Studie auflistet. Hier sollte sich der Vogelhalter lieber von echten Praktikern beraten lassen, als gesetzlich vorgeschriebene Mischungen zu verabreichen.

Kontrolluntersuchungen: Die „Expertenmeinung“ (Studie S. 34) empfiehlt mindestens jährlich eine Kontrolluntersuchung. Sollte diese beim Tierarzt erfolgen, wäre dies (bei gesunden Vögeln) unverhältnismäßig (so oft besuchen selbst viele gesunde Menschen den Arzt nicht!); eine regelmäßige gründliche Kontrolluntersuchung durch den Halter (in die Hand nehmen…) würde ich mindestens 2 x pro Jahr empfehlen und u.a. auch auf einen möglichen Befall mit Räudemilben hinweisen.

Reinigung: Die Erfordernisse für die Reinigung müssen viele Faktoren berücksichtigen: Wenn ich in einer 10 m2 großen Voliere mit Naturboden und natürlicher Beregnung 1 Paar Kanarienvögel halte, muss ich andere Maßnahmen und Reinigungsabstände einhalten, als wenn ich 4 Paare mit Jungvögeln in deutlich kleineren Innenvolieren mit Sandeinstreu halte. Weitere Faktoren sind z.B. die Anwesenheit von Schadnagern (Mäusekot etc.), Eintrag von Wildvogelkot und direkte Sonnenbestrahlung.

Empfehlungen zur gründlichen Desinfektion werden von Veterinärmedizinern oft gegeben. Aus der Praxis der Vogelhaltung zeigt sich (leider), dass Vögel aus sterilen Haltungsbedingungen bei Ortswechseln schneller erkranken als Vögel, die zumindest ein gewisses Maß an Verunreinigung erleben mussten und daher ein aktiveres Immunsystem aufgebaut haben. Kurze Reinigungsintervalle in der Brutphase können den Bruterfolg, (also Vogelleben) massiv negativ beeinflussen.

Trink- und Badewasser sowie Futtermittel sollten allerdings in jedem Fall hohe Sauberkeitsansprüche erfüllen.

Keimfuttergaben: Frisch gekeimte Sämereien sind auch in vielen Naturräumen nur im Frühling für Körner fressende Singvögel verfügbar. Daher ist deren fast ganzjährige Verfütterung – auch bei Kanarien – nicht nötig. Keimfutter ist sehr hilfreich für die Zuchtkondition der Elterntiere und bei der Jungenaufzucht in der Nestlingszeit. Aber auch in den angegebenen Zeiten werden trockene Samen verzehrt und können auch – nachdem sie im Kropf eingespeichelt wurden – an die Jungvögel im Nest verfüttert werden. Wenn die Jungvögel selbstständig fressen und dann von den Altvögeln getrennt werden, sollte man die Keimfuttergaben allmählich reduzieren und nach wenigen Wochen einstellen. Die Gefahren von Darmentzündungen sind erheblich größer und die Zahl überlebender Jung- und Altvögel ist deutlich geringer, wenn man fast ganzjährig Keimfutter verabreicht. Beim Keimfutter fehlt der Hinweis, dass Keimfutter, das älter als 48 Stunden ist, (ab der ersten Wässerung) wegen seiner hohen Belastung mit gesundheitsschädlichen Keimen (Bakterien, Pilzen) nicht mehr verfüttert werden soll. Wissenschaftliche Untersuchungen haben schon vor Jahrzehnten bewiesen, dass auch gründliche Reinigung der Keimbehälter, Siebe etc. und wiederholte Spülungen des Keimfutters diesen Prozess nicht aufhalten können.

Auswertung der Halterbefragungen: (Studie, S. 37ff.) Da nur 49 Halter auswertbare Daten zu Kanarien lieferten, sind hier Mindestanforderungen für repräsentative Aussagen nicht erfüllt. Hier müssten repräsentative Daten erhoben werden.

Die Auswertung von Patientendaten (2019 – 2021; vgl. Studie, S. 44ff. und Anhang, S. 61) basiert auf einer so geringen, nichtrepräsentativen Datenbasis, dass sie keine sinnvollen Angaben über den Gesundheitszustand der allermeisten gehaltenen Kanarienvögel geben kann: Die 56 Anamnesebögen betreffen erkrankte Vögel, die zu einem spezialisierten Tierarzt gebracht wurden. Da Vögel erst sehr spät (oft erst kurz vor ihrem Tod) Krankheitssymptome zeigen, die der durchschnittliche Halter erkennt, sind die 56 Datensätze wie menschliche Patienten auf Intensivstationen anzusehen. Deren Gesundheitszustand sagt aber wenig aus über den Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung.

Auch die Auswertung der Verkaufsanzeigen auf Quoka.de (vgl. Studie, S. 48ff.) sind nicht repräsentativ; z.T. sind weniger als 30 Halterangaben verwertet und in Statistiken umgerechnet und dann in einem farbigen Balkendiagramm dargestellt worden.

Insgesamt leidet die Studie vor allem daran, dass nicht aussagefähiges Datenmaterial verwendet wurde. Hierzu haben die Vogelhalter natürlich auch selber beigetragen.

Informationsbroschüren, Internetportale und Apps sind zur Verbesserung der Haltungsbedingungen von Vögeln völlig zu Recht benannt worden.

Allerdings halte ich die Rolle von Vogelhalterorganisationen, die in die Pflicht genommen werden sollten, mehr zur Sachkunde der Vogelhalter beizutragen, für unerlässlich. So wie zur Hundeerziehung die Hundesportvereine Grundlegendes leisten, müssen auch die Vogelhalterorganisationen mehr an der Qualifizierung der Vogelhalter mitwirken.

Winfried Schidelko

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